Warum erscheint ausgerechnet jetzt ein Musikalbum auf dem Game Boy Advance?

Right on time. Genau pünktlich. So heißt ein Track auf dem 2018 erschienenen Album To You Baby, With Love des Vaporwave-Künstlers Tupperwave. Im Frühjahr 2021 bringt das Label Oasis Ltd die Platte in besonderer Auflage neu heraus: auf grünen Cartridges mit Video- und Audioinhalt für den Game Boy Advance. Sogar die konsolenspezifische Verpackung einer quadratischen Pappschachtel gibt es mit dazu.

Der Hamburger Techno-DJ Remute geht noch einen Schritt weiter und komponiert seine Musik direkt für Formate wie SNES-Cartridges oder Sega-Mega-Drive-Module, die nie für die Musikproduktion gedacht waren. Hier besteht die Herausforderung besonders darin, die Musik an die Limitationen der jeweiligen Konsole anzupassen und in die Sprache der Soundchips zu übersetzen.

"Es muss sich jedes einzelne Element eines Songs innerhalb von diesen mickrigen 64 KB unterbringen lassen", sagt Remute. Der Künstler glaubt an die Prämisse, dass unter den größten Limitationen manchmal die besten Ideen entstehen können. Deshalb passen für ihn futuristischer Sound und Oldschool-Trägermedien so gut zusammen.

Musik gibt es auf Kassetten, Playstation-2-DVDs und Game-Boy-Modulen. (Quelle: Oasis Ltd)

Spielemodule statt Schallplatten

Während die Vinyl-Presswerke im letzten Jahr schon unter dem neuesten Adele-Album in die Knie gingen und selbst die Musikkassette wieder für Mainstream-Releases attraktiv wird, sind die Veröffentlichungen von Remute und Tupperwave nochmal nischiger. Künstler*innen wie sie veröffentlichen ihre Alben auf längst vergessenen Formaten. So ist etwa die 3,5 Zoll Floppy Disk ein beliebter Tonträger für alle, die künstlerische Limitation austesten wollen. Ein ganzes Musikalbum auf nur 1,44 MB, das ist weniger als eines der Bilder hier im Text.

Das GBA-Album von Tupperwave erscheint ungefähr 20 Jahre nach dem Marktstart von Nintendos portabler Videospielkonsole. Schon damals gibt es vereinzelt Serienepisoden oder sogar ganze Spielfilme als GBA-Cartridge zu erwerben. Da die Bildqualität nicht ausreicht, bleiben Video-Module allerdings die Ausnahme.

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Und heute? Die limitierten Kopien von Tupperwaves GBA-Alben sind bereits in der zweiten Auflage ausverkauft. Oasis Ltd macht es sich zur Aufgabe, für jeden Release eine physische Veröffentlichung auf Cartridge und VHS-Kassette einzuplanen. "Das ist das erste Mal, dass ich von einem Album höre, das auf GBA Video veröffentlicht wurde", steht in einem Kommentar auf YouTube.

"Das ist jetzt doppelt nostalgisch. Es ist sogar noch nützlicher, da die niedrige Auflösung der GBA-Videokassetten die Lofi-Ästhetik der Musik als Ganzes unterstreicht. Toller Fund!" Die Begeisterung gilt also nicht ausschließlich der Musik selbst, sondern auch dem Medium.

Keytars sind ein Markenzeichen der 80er-Jahre. (Quelle: Remute)

"Der Produktionsprozess ist immer etwas abenteuerlich"

Die kreative Herausforderung der Musikproduktion wird dabei noch um die Hürden der jeweiligen Formate und Abspielgeräte erweitert. Remute hat schon mit den verschiedensten Konsolen und Formaten herumexperimentiert. Dabei ist die Veröffentlichung auf Platinen und Plastik deutlich aufwendiger, als der Upload bei Plattformen wie Spotify und Bandcamp.

"Der Produktionsprozess der Module ist immer etwas abenteuerlich und es steckt viel Handarbeit drin, daher auch die geringen Auflagen", sagt er. Während die Produktionsstätten für Vinyl-Schallplatten an ihre Grenzen stoßen, gibt es für Game-Boy-Module schon gar keine mehr. In Zusammenarbeit mit Mr Tentacle aus Schweden und Krikzz aus der Ukraine entstehen die eigens für die Alben angefertigten Platinen in Handarbeit.

Seit 2021 erschienen Remutes Alben auf dem N64 und Super Nintendo, Sega Mega Drive und PC-Engine-Speicherkarten, VHS-Kassetten und Disketten – und mit seinem neuen Album Unity nun eben auch auf dem Game Boy Advance.

Und auch in der Zukunft will Remute seinen Formaten treu bleiben: "Nach einem N64- und GBA-Album steht Ende des Jahres auch ein recht entspanntes Dreamcast-Album namens Generations an. In der Hinsicht entspannt, weil es sich hier nur um gutes altes CD-Audio handelt", sagt er. Danach plant er aber schon die Rückkehr zu den 8-Bit Konsolen und alten Heimcomputern.

Wie aus Games Soundkonstrukte werden

Dass ausgerechnet ein Label wie Oasis Ltd die Alben seiner Künstler*innen auf Playstation-2-DVDs, Game-Boy-Advance-Modulen und VHS-Kassetten herausbringt, passt zu deren Genre. Vaporwave definiert sich über Vergangenheitsästhetisierung und einer bestimmte Form der Nostalgie.

Der Ursprung des Klangs von Vaporwave liegt in der Fahrstuhlmusik (auch als "Muzak" bezeichnet) der 1980er- und 1990er-Jahre. Die ruhig-träumerischen Synthesizerklänge werden mit Samples aus Popsongs, alten Computersounds oder Schallplattenknistern vermischt.

Auch Videospiele werden in den Remix mit einbezogen. Schon im als Urstein des Genres geltenden Album Floral Shoppe aus dem Jahr 2011 sind Sound-Samples aus Games mit dabei, etwa aus dem Soundtrack des N64-Klassikers Turok. Jüngere Vaporwave-Veröffentlichungen wie Level Select von PizzaHotline versuchen auch visuell Gaming-Erlebnisse der späten 90er und frühen 2000er einzufangen. PizzaHotline bedient sich dabei vor allem der Menü-Soundkulisse der jeweiligen Konsolen.

Spielmodul-Alben wie Unity von Remute werden oft aufwendig visualisiert.

Kleines Zimmer statt einer großen Halle

Wenig verfügbarer Speicher und niedrige Polygon-Mengen erzwingen eine Fokussierung auf das Wesentliche. Die Beschränkung auf nur wenige Megabyte pro Album habe Remute gezeigt, wie er Ideen für Songs in ihrer kompakten Essenz umsetzen kann. Das kann mitunter sehr befreiend sein: "Es ist leichter ein kleines Zimmer einzurichten als eine große Halle, wo man sich leicht verliert".

Als sein persönliches Highlight beschreibt er das Überwinden der Einschränkungen bei seinem SNES-Album The Cult of Remute. In den wenigen Kilobyte RAM konnte er dennoch Gesangs-Samples unterbringen. Wegen des winzigen Arbeitsspeichers "müssen die Samples sehr kurz und knackig sein, können aber auch effektvoll durchs SNES komprimiert werden", erzählt er. "Dass ich am Ende dann sogar Songs mit mehrstimmigem Gesang auf dem SNES vollbracht habe, macht mich im Nachhinein immer noch glücklich und auch etwas stolz."

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Musik für eine unbestimmte Zeit

Vielleicht ist es also am Ende mehr der Produktionsprozess, als das Ergebnis, der bei allen technischen Limitationen die Musik aus dem Modulschacht so faszinierend macht: Das Format steht selbst im Mittelpunkt.

Remutes Sound erinnert so an die Zeit, in der die grauen Game-Boy-Module selbst auf den Markt kamen. Futuristischer, manchmal etwas beklemmender Techno mit catchy Synthpop-Melodien. Sie erzeugen das Gefühl, das Chiptune-Soundtracks definiert, das Immer-weiter-, das Noch-ein-Level-, das Endboss-Fight-Gefühl.

Vielleicht ist das Verwischen der Grenzen zwischen Alt und Neu genau das, was die Musik aus dem Modulschacht so unheimlich faszinierend macht. Vielleicht ist es genau das, warum sie zum richtigen Zeitpunkt kommt.