So will ein ehemaliger Blizzard-Manager mit Gamification die Welt retten

Als George Floyd am 25. Mai 2020 in Minneapolis von einem Polizisten ermordet wird, ist plötzlich etwas anders. Dass sich die oft tödliche Polizeigewalt in den USA überproportional gegen Schwarze Menschen richtet, ist nichts Neues. Floyds Tod löst allerdings eine bis dato noch nie dagewesene Welle an Reaktionen aus, von weltweiten, monatelangen Protesten und Demonstrationen bis zu Solidaritätsbekundungen aus allen Ecken der Kulturindustrie. Auch die Spielebranche wirft ihren Hut kollektiv in den Ring: Firmen wie Sony und Nintendo verpflichten sich in Statements zur Förderung von Diversität und Chancengleichheit, andere wie Electronic Arts und Square Enix spenden Geld an Organisationen aus dem "Black Lives Matter"-Umfeld.

Activision Blizzard, der Publisher von Spielereihen wie Call of Duty oder Diablo, sammelt knapp 4 Millionen US-Dollar für Initiativen ein, die für mehr Chancengleichheit sorgen sollen. Eine beachtliche Summe, die aber im Vergleich mit einem Nettogewinn von 1,5 Milliarden US-Dollar im Jahr 2019 überschaubar ausfällt. Auch dass CEO Bobby Kotick selbst eine Millionen US-Dollar beisteuert wirkt bei einem Jahresgehalt von 40 Millionen eher wie ein Tropfen auf den heißen Stein.

Die Mittel für mehr Engagement wären da, gerade in einer Branche, die sich auf Augenhöhe mit Konsument*innen stellen will. Dass es daran hapert, ist ein Problem des Systems. "Am Ende kommt es darauf an, was du messen willst und wie du Erfolg bewertest", sagt Leyline-Gründer Jeremy Dela Rosa. "Es ist nicht so, dass diese Firmen böse sind, sondern nur, dass sie über den Gewinn Rechenschaft ablegen müssen", sagt Jeremy Dela Rosa. "Es fehlt an Transparenz. Das muss sich ändern, weil wir gerade alles gegen die Wand fahren."

Im Gamingbereich spendete Activion Blizzard nach dem Mord an George Floyd vier Millionen Dollar an wohltätige Organisationen.

Leyline liefert Altruismus per Knopfdruck

Dela Rosa weiß genau, wovon er spricht. Von September 2010 bis September 2020 arbeitete er bei Blizzard Entertainment zuletzt als Manager von Battle.net und half bei der Gründung der Overwatch League. Nebenbei versuchte er jahrelang, nachhaltigere Konzepte für wohltätiges Engagement zu etablieren, scheiterte aber an der Führungsebene der Mutterfirma Activision. "Ich schlug immer wieder vor, Kommunikationsmaßnahmen auf unseren Plattformen einzubauen, die gutes Verhalten belohnen. Maßnahmen, die über toxisches Verhalten aufklären oder soziale Verbindungen stärken", erklärt er. "Das fand natürlich jede*r gut, aber wenn es um Prioritäten geht, steht der Gewinn ganz oben. So läuft es eben bei börsennotierten, privaten Unternehmen."

Der Tod seiner Mutter im April 2020 rüttelt Dela Rosa wach. Er sei sich darüber klar geworden, dass er nicht auf weiter auf dem Sofa sitzen und Videospiele spielen könne, während durch die Corona-Pandemie über 100 Millionen Menschen kurz davor seien, in extreme Armut abzurutschen. Nur Geld zu spenden erscheint ihm zu wenig. Er verkauft sein Haus, kündigt seinen Job bei Blizzard und telefoniert Berge von Visitenkarten durch. Denn Dela Rosa will selbst etwas tun.

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Im September gründet seine eigene Firma, die Non-Profit-Organisation Leyline. Deren internes Mantra lautet "Klicke auf einen Button, tu etwas Gutes". Nutzer*innen erstellen sich ein Profil und verdienen mit verschiedenen Aktivitäten Punkte. Entweder stellen sie die Rechenleistung ihres Computers der Forschungsschnittstelle BOINC der University Of California Berkeley zur Verfügung, helfen ihren Mitmenschen durch Blutspenden oder sich selbst durch Sport.

Dela Rosas Projekt basiert auf Gamification, also der Übertragung von Belohnungsmechanismen wie Achievements, Ranglisten oder Punktewertungen auf Aktivitäten, die an sich nichts mit Spielen zu tun haben. Das aus Spielen erlernte Verhalten soll so auch in der echten Welt zu guten Taten motivieren.

Der offizielle Leyline-Trailer legt den Fokus auf die Bildung einer weltweiten Gemeinschaft zur Bekämpfung von Armut.

Dass das ein zweischneidiges Schwert sei, weiß Dela Rosa. Er bezeichnet das Buhlen um Aufmerksamkeit, das Bei-der-Stange-halten von Nutzer*innen durch Gamification im privaten Sektor als "das, was unsere Gesellschaft zerstört."  Ganz kann sich Leyline dieser Dynamik allerdings nicht entziehen. Dela Rosa räumt ein, dass sich Sponsor*innen an dem Projekt beteiligen, weil sie dahinter eine attraktive Zielgruppe vermuten. Über das dazugehörige Leyline-Profil werden zudem laut den Datenschutzbestimmungen der Seite Nutzer*innendaten erfasst und potenziell mit Dritten geteilt, die über reine Analytics-Zwecke hinausgehen – Name, Adresse, Telefonnummer zum Beispiel. Allerdings versichert Dela Rosa, dass sein Unternehmen nicht mit diesen Daten handeln will.