Mods machen aus Die Sims mehr als eine Vorstadt-Idylle

Im digitalen Puppenhaus können Spieler*innen sein, wer sie wollen – und nehmen mit Mods und Protest immer mehr Einfluss darauf, was im Spiel möglich ist.

Mods machen aus Die Sims mehr als eine Vorstadt-Idylle
Die Sims sind längst mehr als das, was sich die Entwickler*innen ausdenken. (Quelle: EA)
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Ein kleiner Content-Hinweis: In diesem Artikel geht es u. A. auch um Mods, die Schwangerschafsabbrüche darstellen.

Was ist das härteste Management-Spiel? Natürlich Die Sims 4, wenn man verzweifelt versucht, Drillinge erfolgreich durchs Leben zu bringen. Überhaupt genießen Babys und Kleinkinder in der Reihe schon lange den legendenhaften Ruf, für puren Spielstress zu sorgen. Und als wäre das nicht genug, gibt es seit kurzem auch noch Säuglinge im Spiel, die ganz besonders viel Aufmerksamkeit brauchen, wenn ihr Leben halbwegs rund laufen soll.

Dabei erfreuen sich viele der mit dem DLC Growing Together neu eingeführten Mechaniken im Sims-Kosmos schon länger großer Beliebtheit. Modder*innen wie Lumpinou entwickeln seit Jahren Erweiterungen, die das Spiel früh um künstliche Befruchtungen oder ein erweitertes Anziehungssystem ergänzt haben – und die inzwischen durch das Hauptspiel aufgegriffen wurden.

Allein Lumpinou kommt aktuell auf 17 Mods rund um Schwangerschaft, Beziehungen und Kinder und hat damit über 24.000 Follower*innen auf Twitter gesammelt. Einige von Lumpinous Mods thematisieren allerdings auch Themen, die dem Image des digitalen Puppenhauses widersprechen: Sie beschäftigen sich mit Abtreibungen, Teenagerschwangerschaften und Fehlgeburten. Wie passt das zur Vorstadtidylle der Sims?

Impulse aus der Community

Mods in diese Richtung gab es schon für Die Sims 2. In ihnen wurde beispielsweise das Stillen von Kleinkindern ermöglicht, aber auch die Sims-Idylle bewusst gestört, indem sie Elemente wie den Tod einer Schwangeren bei der Geburt oder Teenagerschwangerschaften ergänzten.

"Viele Spieler*innen können sich gar nicht mehr vorstellen, Die Sims ohne Mods zu spielen", sagt Finja Walsdorff, die an der Universität Siegen unter anderem zu Gender und Gaming-Communitys forscht. Das habe sogar Sims-Erfinder Will Wright selbst erkannt, sagt sie. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Modding sei nun einmal auch eine soziale Praxis und die Sims-Community lebt auch davon, dass Spieler*innen ihre eigenen Inhalte entwickeln und zum Download anbieten.

Schon im ersten Teil aus dem Jahr 2000 standen Kinder und Familie im Zentrum. Damals mussten sich die Sims im digitalen Puppenhaus noch nur lang genug küssen bis ein Fenster aufploppte, das Spieler*innen fragte, ob sie ein Kind bekommen wollen, woraufhin dann eine Wiege samt Baby erschien. Mit dem zweiten Teil kamen Schwangerschaften und eine Unterscheidung zwischen Kleinkind und Teenager auf dem Weg zum Erwachsenwerden dazu. In Die Sims 4 gibt es seit diesem Jahr mit Säuglingen sogar noch eine weitere Altersstufe – mit der Möglichkeit, das Leben der Sims bereits im Krabbelalter zu ruinieren.

Queere Entwickler*innen brauchen keine Repräsentation, sondern ein sicheres Einkommen
Das Queer Games Bundle bietet 588 Spiele, Comics und Geschichten zum Preis eines AAA-Games an. Das steckt dahinter.
Wer sich selbst nicht in Spielen wiederfindet, baut eben eigene Spiele. Superlevel spricht deshalb immer wieder mit queeren Entwickler*innen.

Auch sonst hat sich die Vorstadtidylle merklich gewandelt. Die Sims haben mittlerweile einen der komplexesten und inklusivsten Charakter-Editoren, der unter anderem erlaubt, (Neo-)Pronomen unabhängig von Körperlichkeiten festzulegen. Sims können nicht nur hetero, sondern auch bi-, homo- oder asexuell sein und mit den "Wissenschaftsbabys" gibt es inzwischen auch künstliche Befruchtung im Gameplay.

"Es ist spannend, dass es in Die Sims 4 mittlerweile viele Möglichkeiten gibt, Figuren und Familien zu spielen, die für mehr Vielfalt und ein Familienbild, das über die heteronormative Kernfamilie hinausgeht, stehen", sagt auch Finja Walsdorff.

Ein Teil dieser Impulse schafft es dann manchmal auch aus der Community ins Hauptspiel und ist damit entschieden dafür verantwortlich, dass Die Sims heute mit so vielen progressiven Elementen aufwarten kann. Dinge wie ein umfangreiches Update, das unter anderem mehr und realistischere Hauttöne für nicht-weiße Sims ermöglicht, waren zuerst beliebte Mods, mit denen besonders Schwarze Spieler*innen Kritik an Die Sims geübt haben, bis die Entwickler*innen diese Ideen selbst aufgriffen.

"Das war in den früheren Teilen, die geschlechtliche Binarität und Heteronormativität als Dreh- und Angelpunkte gesellschaftlicher Ordnung reproduziert haben, noch anders", sagt Walsdorff. "Auch die Möglichkeiten zur Familiengründung in Die Sims sind heute vielfältig und schließen Sims-Figuren unabhängig von Geschlecht und sexueller Orientierung ein." Trotzdem reproduziert auch Die Sims 4 bis heute bestimmte Idealvorstellungen von Familie, die etwa queere Familienentwürfe unterordnen. Die Vorstadtidylle lebt, auch wenn sie inzwischen mehr Raum für Queerness bietet.

Lebenssimulation in allen Facetten

"Beim Modding suchen Spieler*innen Anknüpfungspunkte für individuelle Bedürfnisse und Interessen", erklärt Walsdorff. "Die Inhalte von Mods können durchaus gegensätzlich zu den im Originalspiel vermittelten Idealen und Werten sein." Die besonders erfolgreichen Mods von Basemental ermöglichen beispielsweise Drogenkonsum oder den Einstieg in die Bandenkriminalität – beides wäre im Original nicht denkbar.

Vielmehr geht es für viele Modder*innen und Spieler*innen dieser Mods darum, mit den Möglichkeiten von Mods zu experimentieren und eine Rolle einzunehmen. Wer seinen Avatar sich selbst nachempfindet, um das eigene Leben nachzuspielen, interessiert sich unter Umständen für Inhalte, die nicht zur  Altersfreigabe und idyllischen Ausgangsperspektive der Sims passen. "Spieler*innen wünschen sich, dass die Lebenssimulation auch sämtliche Aspekte des 'echten Lebens' umfasst – und durch Mods lässt sich das erreichen."

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Videospiele thematisieren immer wieder auch Tabuthemen wie den Tod.

Mod sind also nicht nur, aber auch ein Weg, wie Spieler*innen ihr eigenes Spielerlebnis in die Hand nehmen und sogar mit Kernelementen wie der Sims-Vorstadtidylle brechen können. In manchen Fällen, weil der Fokus auf die weiße, heteronormative Mittelstandsfamilie von Anfang an sehr ausschließend und selektiv war. In anderen, weil einige Spieler*innen sich düsterere Elemente wünschen, die niemals mit der niedrigen Altersfreigabe kompatibel wären.

Dazu gehören auch die Mods von Lumpinous und eine ganzen Sammlung an Fan-Erweiterungen, die Tabus wie Abtreibungen, Geschlechtskrankheiten und mehr thematisieren. Die Sims ist ein Beispiel dafür, wie Fan-Communitys mit Spielen auf teilweise sehr komplizierte Art interagieren. Manchmal auf eine Weise, die sogar von Entwickler*innen aufgegriffen wird, manchmal nur als Selbstermächtigung. Der scheinbare Widerspruch zur Vorstadtidylle von Die Sims 4 ist also kein Fehler, sondern volle Absicht.