Darum hat ein Ethiklehrer ein Spiel über den Tod gemacht
"Schlimm ist der Tod für die Hinterbliebenen", sagt Jonas Fisch. Sein Point-and-Click-Adventure Prim soll zeigen, dass der Tod auch mit Hoffnung verbunden sein kann.
Jedes Lebewesen muss irgendwann einmal sterben. Sterblichkeit und das Kokettieren damit, zum Beispiel in Form der Unsterblichkeit bei Vampiren, waren seit jeher auch Teil des Geschichtenerzählens. Manche suchen Antworten, Trost oder auch einen humoristischen Weg, um das Unausweichliche zu verarbeiten.
"Der Tod ist die grundlegendste und gleichzeitig am wenigsten greif- und verstehbare menschliche Erfahrung", fasst Jonas Fisch zusammen. Sein Spiel Prim ist nach der Tochter des Todes benannt und nähert sich darüber einem tabuisierten Thema. Durch die Augen eines Kindes betrachtet, ist das "Totenreich nicht als ausschließlich düsterer und trister Ort dargestellt, sondern als einer, in dem es Raum gibt für Humor und Hoffnung", sagt Fisch.
Im Kindergarten werden Käfer totgemacht
Als Ethiklehrer am Gymnasium begegnet er mit seinen Schüler*innen hin und wieder dem Thema Tod, sei es bei Sterbehilfe, Tierethik oder Religion. "Erfahrungsgemäß führt es zu einem super spannenden Diskurs, bei dem ich jedes Mal auch wieder etwas Neues mitnehmen darf", sagt er.
Aber auch im Umgang mit seiner dreijährigen Tochter kommt das Thema auf. Nach dem Kindergarten erzählte sie, wie dort "Käfer totgemacht" wurden. Als Vater sieht sich Fisch hier in der Verantwortung, aufzuklären: "Momentan besteht meine Aufgabe vor allem darin, ihr einen respektvollen Umgang mit dem Leben anderer, noch so kleiner, Lebewesen beizubringen, wobei für sie das Konzept ‘Tod’ natürlich noch kein verstehbarer Begriff ist".
Prim ist im Kern ein Familiendrama
Die Tochter des Todes, Prim, beschreibt Fisch als emotionalen Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. Seit sich seine eigene Tochter in der Autonomiephase befindet, erlebt er häufiger Meinungsverschiedenheiten, was ihn den Zusammenhang zwischen Prim und seiner eigenen Vaterschaft zunehmend spüren lässt.
"Ich denke, seitdem habe ich ein viel besseres Verständnis der vielen Ambivalenzen, die das Elternsein mit sich bringt und das lässt mich den Konflikt zwischen Prim und ihrem Vater besser nachvollziehen", erklärt er. Leitmotive in Prim sind neben dem Tod auch Familie und Kommunikation. Themen, die dem Entwickler wichtig sind.
Neben viel Herzblut und Lebenszeit steckt in Prim, so Fisch, vor allem seine Liebe für schräge Figuren und Situationskomik. Nach früheren Game-Jam-Titeln wie Door und Sidekick High ist Prim sein erstes kommerziell veröffentlichtes Adventure.
Obwohl Prim Fischs Faszination für das Düstere widerspiegelt, will er eine andere Grundstimmung im Spiel vermitteln. "Auch war es mir gerade durch die düstere Thematik wichtig, trotzdem ein leichtherziges Spielerlebnis zu schaffen, das ein grundlegend positives Gefühl vermittelt", sagt er.
Everybody Loves Somebody
Seit er als Kind den Disney-Film Hercules gesehen hat, ist Fisch von der Unterwelt der griechischen Mythologie, ihren Bewohner*innen und Geschichten fasziniert. In den letzten Jahren bildete er sich zu dem Thema weiter und kam zu dem Entschluss, dass das Reich des Hades ein guter Hintergrund für die Geschichte wäre, die er erzählen möchte. "Nicht zuletzt weil Prim im Kern ein Familiendrama ist – und das findet man im antiken Griechenland ja wirklich an jeder Ecke", erklärt er.
"Manchmal ist es seltsam, was einen inspiriert", resümiert Fisch. Neben Hercules und offensichtlichen Vorbildern wie Tim Burtons Filmen Frankenweenie und Corpse Bride sowie Henry Selicks Coraline, beeinflussten Fisch auch Werke von Neil Gaiman (der auch den Roman zu Coraline schrieb) und Edgar Allan Poe. "Vor allem in den Jahren, die zu Prim hinführten, habe ich viel von Gaiman und Poe gelesen", sagt er.
Was aber den finalen Ausschlag zur Grundidee hinter Prim gegeben hat, wirft ein anderes Licht auf die Impulse zum Spiel. Es war, so Fisch, ein zufällig abgespielter Song auf Spotify, und zwar "Everybody Loves Somebody" in der Frank-Sinatra-Version. Getragen von der melancholisch-schönen Grundstimmung des Liedes stellte er sich die Fragen: "Wenn jeder einmal jemanden liebt, gilt das auch für den Tod persönlich? Und was ist, wenn dieser Jemand seine Tochter ist?"
Der Tod ist, was er ist
Prims Vater, obgleich er die kosmische Pflicht des Sensenmannes erfüllt, wird im Spiel menschlich dargestellt – eine bewusste Entscheidung. "Er ist nicht böse, aber auch nicht nur gut", betont Fisch. "Er ist weise, macht aber auch Fehler. Ich finde, das ist es, was Figuren spannend macht."
Wie in Corpse Bride werden in Prim die zwei Ebenen, das Reich der Lebenden und das Reich der Toten sowie ihre Beziehung zueinander dargestellt. "Bei Burton ist das Totenreich jedoch wesentlich farbenfroher und liebenswerter als die Erde dargestellt", sagt Fisch. "So weit gehen wir in Prim nicht." Durch die Interaktivität des Mediums Videospiel sieht Fisch ganz andere Möglichkeiten, unsere Welt darzustellen, als dies in Burtons Filmen der Fall ist. "Bei Frankenweenie geht es um das (nicht) Loslassenkönnen bei einem Verlust, ein Thema, das in Prim hin und wieder auch eine Rolle spielt. Ein weiterer Hauptunterschied ist, denke ich, dass der Tod bei uns durch die Figur von Thanatos personifiziert wird."
Unter anderem durch die Personifizierung mit dem Tod erkennt Fisch Gelegenheiten, trotz der Schwarz-Weiß-Grafik auch moralische Graustufen zuzulassen. "An sich ist der Tod nicht böse", sagt er. "Er gehört untrennbar zum Leben dazu." Und so tanzt der Tod in Prim sogar, zur Erheiterung einiger Spieler*innen. "Ich habe noch keinen Stream der Demo gesehen, in dem beim Finale, wo der Tod eine flotte Sohle auf’s Parkett legt, nicht ausgelassen mitgetanzt wurde", freut sich Fisch.
Der Tod geht uns nichts an
Obwohl Fisch zugibt, manchmal selbst Angst vor dem Tod zu haben, bemüht er sich um eine positive Sichtweise und zitiert den Philosophen Epikur: Der Tod geht uns nichts an. “Solange wir da sind, ist der Tod nicht da", sagt er. "Und sobald der Tod da ist, sind wir nicht mehr da."
Dass es so einfach nicht ist, scheint Fisch bewusst. "Natürlich gilt das nur für die Sterbenden selbst und lässt auch die Angst vor dem eigenen Tod in gewisser Weise außen vor", sagt er. "Schlimm ist er für die Hinterbliebenen. Es ist seine Endgültigkeit, seine Unumkehrbarkeit, die uns ohnmächtig macht."
Dieser Ohnmacht möchte er sich aber auch in seinem Spiel nicht hingeben. "Hoffnung ist nicht nur ein zentrales Element für die Motivation einer jeden Hauptfigur, sondern auch für die Spieler*innen eines jeden Computerspiels – insofern gibt es immer etwas, auf das Prim im Laufe der Geschichte hofft."