Sylvio ist immernoch das beste Horrorspiel, von dem ihr noch nie gehört habt

Der schwedische Solo-Entwickler Niklas Swanberg hat 2015 eines der innovativsten Spiele des Genres erschaffen. Leider bekam es kaum jemand mit.

Sylvio ist immernoch das beste Horrorspiel, von dem ihr noch nie gehört habt

Als das Horrorspiel Sylvio im Sommer 2015 erschien, dürfte die Veröffentlichung selbst an vielen Fans des Genres vorbeigegangen sein. Kein Wunder: Screenshots erwecken den Eindruck billiger Massenware, zusammengebastelt aus vorgefertigten Assets und aufgepeppt mit Schockeffekten, um ein paar Klicks kreischender Let’s Player zu sammeln. Es brauchte ein paar überschwänglich lobende Reviews, um skeptische Spieler*innen davon zu überzeugen, dass sich hinter der unscheinbaren Fassade mehr verbergen könnte.

Der Ersteindruck hätte nicht irreführender sein können. Sylvios subtiler Horror zieht seine Inspiration eher aus den albtraumhaften Szenarien von Twin Peaks und The Shining, statt plumpen Jumpscares. Das ist umso bemerkenswerter, denn damals waren diese mit Spielen wie Five Nights at Freddys und diversen Slenderman-Titeln auf dem Höhepunkt ihrer Beliebtheit. Fernab solcher Klischees erzeugt Sylvio noch immer allein durch seine Geräuschkulisse Unbehagen – und musste dafür nicht nach viel aussehen.

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Vom Theater-Tonmann zum Indie-Entwickler

Entwickelt wurde das ungewöhnliche Genrespiel vom Schweden Niklas Swanberg. Bevor er sich als Spieleentwickler unter dem Namen Stroboskop selbstständig machte, arbeitete Swanberg als Sounddesigner und Komponist beim Theater. "Seit ich in den 80ern Textadventures mit Basic baute, waren Spiele ein Hobby von mir", erzählt er. "2010 veröffentlichte ich ein simples Horrorspiel für iOS. Ein paar Mobilegames später entschied ich mich, etwas Großes zu bauen. So wurde Sylvio geboren." Swanbergs Hintergrund sollte für sein bis dato größtes Projekt gleich in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung sein.

Denn beim Theater lernte er die Schauspielerin Maia Hansson Bergqvist kennen, die Sylvios Hauptfigur Juliette Waters ihre Stimme lieh. "Sie hat etwas sehr direktes an sich. Sie war meine erste Wahl für den Part und ich bin sehr glücklich, dass sie ja gesagt hat." Ihre leise, fast zerbrechliche Stimme steht im Kontrast zu den Geistern, die aus dem Jenseits zu Juliette sprechen. Aufgenommen mit einem analogen Tonbandgerät bilden ihre körperlosen, verfremdeten Stimmen den Mittelpunkt der Geschichte.

Die meistern Gamer*innen dürften Sylvio bestenfalls aus einem Let's Play kennen.

Mischung aus Realität und Esoterik

Versatzstücke aus Radiosendungen, Walkie-Talkie-Aufnahmen und Sprachsynthese-Software bearbeitet Swanberg mit einerMischung aus analogen und digitalen Effekten, um das bis heute einzigartige Sounddesign des Spiels zu erschaffen. "Es hat eine ganze Weile gedauert, bis sie wie EVP klangen und ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Diese Stimmen sind das Rückgrat von Sylvio." EVP steht für "Electronic Voice Phenomenon" – zu Deutsch Tonbandstimmen. Dieses Phänomen beschreibt vermeintlich unerklärbare Stimmen in Tonaufnahmen.

Diese Nachrichten aus dem Jenseits sind nicht das einzige paranormale Phänomen in Sylvio. Neben Horrorfilmen und -spielen hatte die Dokumentation The Nightmare großen Einfluss: die Gestaltung der als lebendige Schatten auftretenden Gegner ist an Halluzinationen angelehnt, die Menschen unter Schlafparalyse erleben. Viele Horrorspiele entzaubern sich selbst, indem sie ihren Schrecken zu offensichtlich präsentieren. Sylvio bleibt mit dieser Mischung aus wissenschaftlichem Hintergrund und esoterischen Geistererscheinungen stets vage.

Trotz positiver Reviews noch immer ein Geheimtipp

Trotz wohlwollender Kritiken auf Websites wie Kill Screen und Rock Paper Shotgun blieb Sylvio bis heute ein Geheimtipp. SteamSpy schätzte die Verkaufszahlen nach einem Jahr auf etwa 2.000 Downloads. Die positiven Rezensionen und eine erfolgreiche Kickstarter-Kampagne zur Finanzierung im Rücken waren dennoch genug, Swanberg zu mehr zu ermutigen. Bereits ein halbes Jahr nach der Veröffentlichung kündigte er eine Fortsetzung an. Das Ziel des Crowdfundings war nun um einiges höher. Statt 1.000 sollte das Budget diesmal fast 13.000 Euro betragen.

Die Kampagne scheiterte. Es war kein spektakulärer, aber doch ein deutlicher Fehlschlag. Knapp 35 Prozent fehlten zum Erfolg. Statt zu resignieren, sammelte Swanberg sich in einem offenen, selbstkritischen Postmortem: "In meiner Begeisterung vergaß ich, einen Schritt zurück zu gehen. Jeder kann ein neues Spiel unterstützen, aber bei einer Fortsetzung wirst du das Original kennen wollen. Und wie sich herausstellt, taten das nicht genug."

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