Diese Entwickler dekonstruieren Videospielwaffen mit einer Nachladeanimation

Waffen gehören seit der Entstehung von Videospielen zum fest zum Medium. Weil jede*r Spieler*in sie so gut kennt, lassen sie sich wunderbar dekonstruieren – als Parodie oder mit Realismus.

Diese Entwickler dekonstruieren Videospielwaffen mit einer Nachladeanimation
Normalerweise sieht man Kommander Karl nicht. Seine Videos filmt er aus der Egoperspektive. (Quelle: YouTube)

In der Fantasie nicht nur von Kindern werden aus Ästen Gewehre, aus Fingern Pistolen oder aus Kartuschenpressen, die eigentlich Fugen im Bad ziehen sollen, Plasmastrahler. Echte Kugeln verschießt keine der ausgedachten Waffen. Für Kommander Karl hat das Ausleben dieser Fantasie trotzdem reale Auswirkungen: Millionen von Views auf TikTok und ein viraler Schub für seine Videos.

Der 3D-Artist und YouTuber veröffentlichte im Dezember die "Reload Compilation" – ein Video, in dem er aus der Ego-Perspektive wie in einem Videospiel nachlädt. Nur lädt er keine Waffen nach, sondern Haushaltsgegenstände. "Das Lustige daran ist, dass ich das schon seit langem mit einer ganzen Reihe von Haushaltsgegenständen mache", erzählt er. "Und nachdem ich damit bekannt geworden bin, haben viele Leute aus dem Nähkästchen geplaudert und fast beschämt zugegeben, dass sie diese Dinge auch zu Hause oder bei der Arbeit machen."

Was macht eine gute Nachladeanimation aus?

Karls Videos konfrontieren Zuschauer*innen mit einem extremen Kontrast. Einerseits erkennen Spieler*innen die Bildsprache von Ego-Shootern sofort wieder. An der unteren Bildleiste zeigt eine Zahl die verfügbare Munition an, zwei Arme ragen ins Bild und halten etwas schussbereit im Anschlag. Nur ist das Etwas kein Gewehr, sondern beispielsweise ein Staubsauger.

"Die Idee, das aufzunehmen, kam mir, als ich meine DeWalt-Bohrmaschine in der Hand hielt", sagt Karl. Eine Bohrmaschine hat mit Handgriff und Abzug schon die Silhouette einer Waffe. Er filmte das, mit seinem Handy im Mund. "Dann kaufte ich ein Telefonstativ, drehte mein Telefon horizontal und stellte auf Weitwinkelobjektiv um. Ich lud meinen Dyson-Staubsauger auf, das Video ging auf TikTok viral, und der Rest ist Geschichte."

Mehr als 860.000 Follower*innen hat Karl auf Tiktok. Das soziale Netzwerk ist die perfekte Plattform für seine kurzen Comedy-Clips, in denen er Toaster als Gewehr benutzt. "Eine gute Nachladeanimation hat eine Menge bestimmter, sehr spezifischer Kadenzen. Eine Menge Drama mit bestimmten Takten und Timings, schnelle, flüssige und reaktive Bewegungen", sagt er. All das steckt in fünf Sekunden.

Die Evolution des Nachladens

"Je weiter man in der Zeit zurückgeht, desto schlechter sind die Nachladeanimationen", erklärt Karl. Im James-Bond-Shooter Goldeneye auf dem Nintendo 64 gab es einfach gar keine. "Die Waffe verschwand einfach für eine halbe Sekunde aus dem Bildschirm und man hörte ein Spanngeräusch. Das war grauenhaft, aber für die damalige Zeit hat es funktioniert."

Auch wenn in Videopielen schon immer geschossen wurde, war Munition nichts, woran Entwickler*innen viele Gedanken verschwendeten. Im ersten Ego-Shooter Maze War konnte man noch endlos schießen. In Wolfenstein 3D wurde der Munitionsvorrat zwar gezählt, die Pistole konnte aber problemlos 99 Schuss am Stück abfeuern. Erst gegen Ende der 90er-Jahre setzt sich ein realitätsnäheres Konzept durch: Plötzlich müssen Spieler*innen alle paar Schüsse nachladen.

"Um 2002 begannen sich die Nachladeanimationen mit Call of Duty, Medal of Honor: Allied Assault und Battlefield 1942 deutlich zu verbessern", sagt Karl. "Eines der Spiele, das auch heute noch beeindruckt, ist die PC-Version von Ghost Recon Advanced Warfighter aus dem Jahr 2006." Die relativ langsamen, methodischen Animationen orientieren sich eher an militärischem Training als Actionheld*innengehabe. Und sie haben ein realistisches Vorbild: Ghost Recon stellte schon damals Waffen nach echten Vorbildern dar. Ein Lizenzgeschäft, an dem echte Waffenhersteller verdienen.

Wo echter Realismus beginnt, hört der Spaß auf

"Ich bin mit Schusswaffen aufgewachsen, was ein häufiger Nebeneffekt ist, wenn man ein Junge aus Texas ist", erzählt Karl über seine Erfahrung mit echten Waffen.  "Der Hauptunterschied ist die Geschwindigkeit, zumindest meiner Erfahrung nach. Es ist wirklich schwer, echte Schusswaffen so schnell nachzuladen, wie man es in Videospielen sieht."

Das Indiespiel Receiver und sein 2020 erschienener Nachfolger machen genau diese Erfahrung zum Mittelpunkt des Spielgeschehens. Statt eine kompliziert aussehende, aber automatisch ablaufende Animation abzuspielen, müssen Spieler*innen in Receiver jeden einzelnen Schritt im Umgang mit der Waffe selbst tätigen. Auch David Rosen, Entwickler von Receiver, hat Erfahrung mit echten Waffen. "Ich habe schon eine Reihe von Waffen abgefeuert, aber nie regelmäßig", sagt er.

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Er hat das zur Recherche für die Waffen in Receiver genutzt, weil er "viele Details finden kann, die nirgendwo dokumentiert sind, aber notwendig sind, damit sie sich authentisch anfühlen." Die Idee für den im Rahmen des 7 Day FPS Game Jam entstandenen Shooter hatte Rosen aber nicht von einer echten Waffe, sondern einer Airsoft-Replika, die er sich für ein Halloween-Kostüm besorgt hatte. "Es hat wirklich Spaß gemacht, alle Bedienelemente auszuprobieren und zu sehen, was sie bewirken", sagt er.

Unsere problematischen Lieblingswaffen

Trotz der offensichtlichen Faszination für Waffen ist sich Rosen ihrer Problematik bewusst. "Ob man sie liebt oder hasst, Schusswaffen sind in unserer Kultur allgegenwärtig", steht auf der Webseite seines Studios Wolfire Games. Während Karl auf seine Art die Glorifizierung von Waffen in Videospielen parodiert, ist Receiver eher eine Dekonstruktion des oft nur vorgespielten Realismus.

Rosen denkt nicht, dass alle Spiele die unnötig komplizierte Steuerung von Receiver übernehmen sollten. Aber er hofft, dass realistische Darstellungen die Zahl der Unfälle mit echten Schusswaffen verringern kann. Zum einen "indem sie den Menschen zeigen, wie sie tatsächlich funktionieren", zum anderen um "die Neugierde einiger Spieler*innen zu befriedigen, damit sie weniger geneigt sind, mit echten Waffen zu spielen."

Rosen ist überzeugt, dass die Art der Dokumentation in Receiver einen Wert an sich hat. "In einer Demokratie kann meiner Meinung nach eine genaue Information der Öffentlichkeit direkt zu einer effektiveren Politik führen", sagt er. "Obwohl Receiver keine bestimmte politische Meinung vertritt, hoffe ich, dass das Wissen, das es vermittelt, ein wenig dazu beitragen kann, das Niveau des Diskurses über Schusswaffen zu erhöhen."

Waffen gehören seit der Entstehung von Videospielen fest zum Medium, fast jede*r Spieler*in hat wohl schon einmal eine abgefeuert. Deshalb dürfen wir sie gleichzeitig nicht zu ernst nehmen. Videospiele haben etwa nicht dazu geführt, dass echte Waffengewalt ansteigt. Gerade weil wir sie alle kennen, lassen sie sich so gut dekonstruieren, sei es als Parodie von Kommander Karl oder als Simulation in Receiver. "Viele Spieler haben berichtet, dass sich die Waffen in anderen Spielen nach dem Spielen von Receiver 2 wie Spielzeug anfühlen", erzählt Rosen. Und das sind sie in Videospielen letztendlich ja auch.