Der Streik bei Activision Blizzard King muss keinen Erfolg haben, um wichtig zu sein

Der Beziehungsstatus von Videospielindustrie und Arbeitsrecht: kompliziert. Der Streik bei Activision Blizzard King könnte das Gewicht weiter zugunsten der Arbeiter*innen verschieben – selbst wenn daraus keine Gewerkschaft entsteht.

Der Streik bei Activision Blizzard King muss keinen Erfolg haben, um wichtig zu sein
(Credit: Tarcil Tarcil unter CC BY 2.0-Lizenz)

Man kann es drehen und wenden wie man will. Videospiele, egal ob Indie oder AAA-Blockbuster, entstehen häufig unter miserablen Arbeitsbedingungen, inklusive Crunch, Männerbund-Vibes im Büro und Benachteiligung marginalisierter Gruppen. Galt das Überstehen langer Nächte mit Pizza und Bier früher noch als Auszeichnung, gehen jetzt auch Arbeitende in großen Spielefirmen wortwörtlich auf die Barrikaden. Für A Better ABK kämpfen beispielsweise Angestellte des mit knapp 48 Milliarden US-Dollar bewerteten Konzerns Activision Blizzard King.

Nach ihrer Gründung im Juli dieses Jahres und diversen Streikaktionen ruft die Initiative aktuell zu Streiks bei Raven Software auf. Die Chefetage des Activision-Studios, das hauptsächlich neue Karten für Call of Duty: Warzone produziert, hatte die Verträge von 20 Spieletester*innen auslaufen lassen. Aus Solidarität legen zwischen dem 9. Dezember und 15. Dezember hunderte Beschäftigte bei diversen Standorten von Activision Blizzard King ihre Arbeit nieder. Nebenbei gibt A Better ABK bekannt, dass erste Schritte zur Gründung einer firmenweiten Arbeitnehmer*innenvertretung beim Mutterkonzern eingeleitet werden sollen. Eine Arbeiter*innenorganisation in diesem Ausmaß wäre ein absolutes Novum in der Spieleindustrie und könnte weltweit Signalwirkung haben.

Deutsche Gewerkschaften sind stark, aber nicht allmächtig

Das sieht auch Philipp so, Kontaktperson der deutschen Abteilung von Game Workers Unite. "So ärgerlich – und für die davon betroffenen Arbeiter*innen bedauerlich – das uneinsichtige und inkompetente Verhalten der Führungsetage bei ABK derzeit ist, Organisationen, die sich für die Rechte von Arbeiter*innen einsetzen, profitieren davon", sagt er. "Es gibt kaum ein besseres Beispiel für den moralischen Bankrott der Führungsclique der Spieleindustrie." Game Workers Unite gehört zu diesen Organisationen, ist allerdings keine Gewerkschaft, sondern eine lose organisierte Interessensvertretung. Die Gruppierung gründet sich im März 2018 im Rahmen der Game Developers Conference und vernetzt seitdem Angestellte in der Videospielbranche. 2019 schult sie beispielsweise die Organisator*innen des Walkouts bei Riot Games, während sich vereinzelte Zweigstellen wie in England, Frankreich und Australien bestehenden Gewerkschaften anschließen.

Call of Duty: Warzone ist ein erfolgreicher Free-2-Play-Titel, für den Raven Software neue Karten produziert.

Obwohl Deutschland den USA in Sachen Arbeitsrecht voraus ist, sollte man die Situation hierzulande laut Philipp nicht als "Insel der Glückseligen" verklären. Crunch gäbe es auch hier, weitere durch Arbeiter*innenorganisation lösbare Probleme seien die "Scheinselbstständigkeit vieler Arbeiter*innen, aber genauso Ausbeutung von Praktikant*innen und Werksstudent*innen oder Verträge, die das Urheberrecht zu Ungunsten von Arbeiter*innen auslegen", erklärt der GWU-Vertreter. Trotz dieser Probleme scheint gewerkschaftliches Engagement in Deutschland out zu sein. Im Deutschen Gewerkschaftsbund, dem größten Gewerkschaftsdachverband Deutschlands, sind 2020 5,8 Millionen Arbeitende und Beamt*innen organisiert, Tendenz fallend. Das entspricht knapp 17 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Auch die mediale Strahlkraft der größten deutschen Einzelgewerkschaften ver.di und IG Metall oder der GDL-Streiks, die regelmäßig den Nah- und Fernverkehr in Deutschland lahmlegen, bringt den Verbänden keine neuen Mitglieder.

Dennoch will Game Workers Unite Deutschland lieber mit dem arbeiten, was schon existiert, und keine eigene Gewerkschaft gründen. Es gelte eher, Interessen zielgerichtet zu bündeln. "Anders als etwa in den USA sind Gewerkschaften bei uns landesweit organisiert und dementsprechend schlagkräftig", erklärt Philipp. "Wir sehen uns deswegen tatsächlich eher als Vermittler und Vernetzer zwischen den etablierten Gewerkschaften und einer häufig international aufgestellten Arbeiterschaft." Und wie sehen Gewerkschaften den Spielestandort Deutschland? Keine der großen Gewerkschaften hat eigene Vertretungen für Spiele- oder Softwareentwickler*innen, am nächsten kommt dem der Bereich Telekommunikation und Informationstechnologie von ver.di. Allerdings beschränkt dieser sich hauptsächlich auf Firmen wie Vodafone, IBM oder die Deutsche Telekom. Gibt es also noch andere, direktere Organisationsmöglichkeiten für deutsche Spielerarbeiter*innen?

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