Videospiele sind ein fester Teil der medizinischen Zukunft

Games sind mittlerweile nicht nur Zeitvertreib, sondern auch Reha-Werkzeug. Gamifizierte Therapie hat dabei vor allem einen Vorteil: Größere Motivation dank mehr Interaktivität.

Videospiele sind ein fester Teil der medizinischen Zukunft
Quelle: Neofect

Der Nintendo Power Glove war mit seiner Cyberpunk-Optik und Vermarktung vor allem eines: Ein nettes Gimmick für eine der beliebtesten Heimkonsolen aller Zeiten. Spiele direkt mit den Händen und Fingern zu kontrollieren, übt schon damals einen gewissen Reiz aus, der sich heute in der Handsteuerung in VR-Games widerspiegelt. Das Therapiegerät Smart Glove und das dazugehörige Spiel Orange auspressen haben wenig mit abwegigen Eingabegeräten und virtueller Realität zu tun, sind aber ähnlich spielerisch eingebunden.

Nach dem Überstreifen des Handschuhs messen sehr feine, integrierte Sensoren minimale Bewegungen des Handgelenks und der Finger. Diese werden in Echtzeit an einem Bildschirm ausgegeben. Beim virtuellen Orangen auspressen trainieren Patient*innen ihre Beweglichkeit, während gleichzeitig Ergebnisse aufgezeichnet und der Trainingsfortschritt gemessen wird.

Neofect gamifiziert Therapie

"Es geht bei unserem Ansatz weniger um das Gamingerlebnis, sondern, dass die Therapie gamifiziert wird und dadurch motivierender wird", erklärt Susanne Malling von Neofect, dem Hersteller des Smart Glove, der bereits in über 300 Einrichtungen deutschlandweit eingesetzt wird. Der seit 2016 eine Niederlassung in München unterhaltende Hersteller ist laut eigenen Angaben weitgehend konkurrenzlos, da er über einzigartige USPs aus Hardware und Software verfüge und mit Praxen und Kliniken aus 30 verschiedenen Ländern zusammenarbeite.

Die gamifizierte Therapie, die Neofect in diesen Einrichtungen ermöglicht, würde zu mehr Wiederholungen der Übungseinheit führen. "Das ist das Wichtigste in der motorischen Neurorehabilitation zur Wiederherstellung oder zum Erhalt von verlorenen gegangenen Fähigkeiten", erklärt Malling. Durch Messung von Fortschritt und Ergebnissen würden Erfolge in der Therapie so sichtbar gemacht. "Das motiviert nicht nur die Patient*innen, an ihrer individuellen Leistungsgrenze zu trainieren."

Die Firma, die digitale Diagnostik- und Therapielösungen für die aktive Therapie der oberen und unteren Extremitäten sowie im kognitiven Bereich anbietet, wurde 2011 in Korea gegründet, nachdem ein Verwandter des Firmengründers Ho-young Ban einen Schlaganfall erlitt und er die neurologischen und physischen Folgen behandeln wollte. "Die Idee war, dass jeder Mensch die Chance haben soll durch technische Innovation und individuelle Rehabilitation ein gesünderes Leben zu führen", führt Malling aus.

Immer öfter findet man in physio- sowie ergotherapeutischen Praxen oder Rehazentren derartige Therapieformen, die eng mit Videospielen verbunden sind. Erste Beispiele wie Snow World, das Opfern von Brandverletzungen bei der Reha helfen soll, tauchen schon 2003 auf. Die Videospiele sind dabei ergänzend, um sowohl die Motivation der Patient*innen als auch den Spaß bei der Therapie zu erhöhen.

Die digitale Angsttherapie Invirto, die auch VR-Elemente beinhaltet, wird von der Techniker Krankenkasse übernommen. (Quelle: Sympatient)

Motivation für Patient*innen durch Entertainment

Auch Mona Ruda setzt entsprechende Werkzeuge in der Reha ein. Ruda ist unter anderem Fachdozentin für Physiotherapie an der Akademie der Physiotherapie der St. Elisabethgruppe in Herne und hat mit konservativen sowie gamifizierten Therapien gearbeitet.

Um beides genauer vergleichen zu können, hat sie mit den Neofect-Geräten eine Studie durchgeführt, die bislang allerdings noch nicht veröffentlicht wurde. "Der Einsatz von computergestützten Therapiegeräten wurde bereits in der Vergangenheit in mehreren Studien als motivationssteigernd beschrieben. Das Problem bei konventionellen Eigentrainingsprogramm ist häufig der rasche Wiederholungseffekt und die fehlende Anleitung der Patienten bei den Übungen", erklärt die 33-jährige Physiotherapeutin.

Dies führe dazu, dass diese Programme von den Patient*innen häufig als monoton und langweilig beschrieben werden. "Dadurch wird oft die notwendige Therapieintensität, die für ein effektives Training notwendig ist, nicht erreicht. Videospiele punkten im Gegensatz dazu mit einem gewissen Entertainment der Patient*innen. Durch den spielerischen Charakter des Trainings erfahren die Patient*innen einen Ansporn, der teilweise als Wettkampfcharakter beschrieben wird", so Ruda weiter.

Mona Ruda ist Physiotherapeutin und Autorin einer Studie zum Thema Videospiele in der Therapie. (Quelle: Privat)

"In meiner Studie wurde eine 14-tägige Intervention im häuslichen Eigentraining mit dem Smart Board Small vom Hersteller Neofect mit einem üblichen Eigentraining verglichen." Das Smart Board ist ein Diagnostik- und Therapiegerät für die Arm- und Schulterrehabilitation. Die Patient*in hält sich an einem Griff fest, der an eine Platte befestigt ist. Dessen Bewegungen sowie ihre Kraft kann dann bei Videospielen wie Tischtennis nachgemessen werden.

"In Bezug auf die Trainingsmotivation wurde deutlich, dass das Training mit Smart Board Small von den Probanden als ansprechender empfunden wurde." Auch das würde an der Gamification und somit am Punktesystem, dem Reiz immer weiter den Highscore zu erhöhen, liegen.

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Die Forschung steht noch am Anfrang

In Bezug auf die Effektivität, im Hinblick auf die motorischen Fähigkeiten und Lebensqualität, wurden aber in beiden Gruppen positive Tendenzen ermittelt. Hier schnitt das konventionelle Training nicht schlechter ab als das Smart Board von Neofect. "Leider war aus organisatorischen Gründen nur eine kurze Interventionszeit von 14 Tagen und eine geringe Probandenzahl von 16 Personen möglich. Dadurch kann ich nur sagen, dass es sich bei meinen Ergebnissen lediglich um Tendenzen, aber nicht um signifikante Ergebnisse handelt", schildert die Dozentin für Physiotherapie.

Ring Fit Adventure von Nintendo ist nicht auf Physiotherapie ausgelegt, könnte aber ergänzenden Nutzen bringen. Der Forschungsstand zu dem Thema ist derzeit allerdings noch eher mäßig. (Quelle: Nintendo)

Für die Zukunft wünscht sich Ruda eine größere Studie: "So können aussagekräftigere Ergebnisse über die Effektivität ermittelt werden und gegebenenfalls eine Argumentationsgrundlage gegenüber den Kostenträgern geschaffen werden, um diese Trainingsform künftig mehr Patienten zugänglich zu machen." Bisher müssen die Patienten die Therapie zu einem großen Teil selbst finanzieren, was für viele Schlaganfall-Betroffenen nicht möglich ist.

Da die Studienlage noch schlecht ist und die Krankenkassen dementsprechend bei der Finanzierung dieser Leistungen vorsichtig sind, können auch handelsübliche Konsolen eine Alternative bieten. Die Nintendo Switch oder die Wii sind zwar aus therapeutischer Sicht noch nicht untersucht worden, bieten durch Titel wie Wii Sports oder Ring Fit Adventure sicherlich eine Bewegungsmöglichkeit für Zuhause.

In der Psychotherapie ist man bereits ein wenig weiter. Virtual-Reality-Apps auf Krankenkassenrezept tauchen häufiger auf, die Techniker Krankenkasse finanziert beispielsweise das digitale Behandlungsprogramm Invirto, das bei Angststörungen helfen soll. Natürlich können diese Dienste keine persönliche Therapie ersetzen, als Ergänzung werden Videospiele allerdings auch in Zukunft immer weiter an Bedeutung gewinnen.