Wer eine Community aufbaut, muss sie auch pflegen

Der Tabletop Simulator ermöglicht Brettspielfans und -designer*innen, ihrem Hobby auch während Corona treu zu bleiben. Jetzt hat unzureichendes Community-Management die Tür für queerfeindliche Opportunisten geöffnet. Das hätte verhindert werden können.

Wer eine Community aufbaut, muss sie auch pflegen
Quelle: Berserk Games

Tabletop Simulator ist mit mehr als einer Millionen verkaufter Exemplare zum digitalen Küchentisch für Brettspiele geworden. Als Plattform erlaubt es Modder*innen, bekannte Brettspiele von Schach bis Warhammer nachzubauen oder eigene Prototypen zu entwickeln. Gerade wegen seiner Vorreiterrolle in dieser Community ist das, was Anfang Januar passiert ist, auch für andere Spieleentwickler*innen wichtig. Nachdem eine Designerin aus dem Chat verbannt wurde, weil sie über ihre queere Identität sprach, geht ein Riss durch die Community.

"Diskussion über Sexualität hat im globalen Chat nichts zu suchen"

Schon vor ihrem Ban am 31. Dezember wurde die Brettspiel-Designerin Xoe Allred häufiger aus dem globalen Chat des Tabletop Simulator gekickt. Jetzt kann sie gar nicht mehr in den Chat schreiben, der in der Lobby zur Mitspieler*innensuche gedacht ist. Der Grund für diesen Ausschluss scheint kein anderer zu sein, als dass sie über ihre Homosexualität gesprochen hat.

"Ich stelle mich in jeder Gemeinschaft, der ich beitrete, als trans vor, und bisher wurde ich in jedem Raum, den ich aufsuchte, akzeptiert", sagt Allred. Begonnen hat sie hat mit dem Bau eigener Fraktionen für das Spiel Root, mittlerweile entwickelt sie eigene Spiele und nutzt für die Prototypisierung den Tabletop Simulator. "Die Tabletop-Game-Designer*innen-Community hat meine queere Identität größtenteils akzeptiert, weshalb ich von den Gründen für mein Verbot so überrascht war."

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Allred hakt direkt bei einem Moderator nach. Scheinbar tauchen Begriffe wie "trans" und "gay" in einer Liste von Wörtern auf, die zu einer automatischen Sperre führen. Solche Blocklisten sind ein einfaches Mittel, um die gröbsten Probleme – von Spam bis Hassnachrichten – ohne ein großes Team an Moderator*innen abzufangen. Das paradoxe Ergebnis: Ein Filter, der zum Ausblenden homofeindlicher Beschimpfungen gedacht war, resultiert in der Ausgrenzung queerer Identitäten.

Gebannt wird die Gamedesignerin allerdings nicht von einem Computer, sondern von eben dem Moderator, bei dem sie sich nach den Hintergründen der Sperre erkundigte. "Wenn Ihre Nachricht beleidigend oder störend ist, wird sie mit einem Kick und/oder einer Sperre geahndet", schreibt der ihr. Scheinbar sind es ihre Nachfragen, die als störend empfunden wurden.

Xoe Allred hat Chatverläufe dokumentiert, um auf den Vorfall aufmerksam zu machen. (Quelle: Xoe Allred)

Kulturkampf im Kommentarbereich

Als Xoe Allred das Erlebte frustriert auf Twitter teilt, bekommt sie viel Unterstützung aus der Tabletop-Simulator-Community. Einige Spieler*innen und Entwickler*innen beginnen damit, negative Rezensionen auf Steam zu verfassen, um sich solidarisch zu zeigen und die Kritik am Entwickler Berserk Games sichtbarer zu machen. "Ich kann dieses Spiel nicht guten Gewissens empfehlen, solange die Entwickler die transphoben und homophoben Äußerungen ihrer Moderatoren nicht ausdrücklich und unmissverständlich verurteilen und sich bemühen, jeglichen Schaden, den sie verursacht haben, wiedergutzumachen", schreibt ein*e User*in.

Andere werfen Berserk vor, transfeindlich zu sein. Genau diese Aussage taucht plötzlich auch in positiven Rezensionen auf. Als queerfeindliche Gruppen auf den Vorfall aufmerksam werden, bombardieren sie koordiniert zurück und loben die Transfeindlichkeit. Auch im Forum erscheinen plötzlich vermeintliche Diskussionsbeiträge zum Thema – die Selbstmordstatistiken von trans Personen auflisten. Mittlerweile sind die extremsten gelöscht, im Januar sind sie aber tagelang öffentlich einsehbar.

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"Review-Bombing" ist eine Methode, um Entwickler*innen anzugreifen oder Kritik zu äußern. Oft steht dabei nicht legitime Kritik, sondern persönliche Anfeindung im Mittelpunkt. Dabei werden massenhaft meist negative Rezensionen in kurzer Zeit abgesendet, um die prominent auf Steam dargestellte Durchschnittswertung zu senken. Seit 2019 setzt Valve Tools ein, um Review-Bombs besser zu erkennen. Auch beim Tabletop Simulator schlägt der Warnmelder an. Stand jetzt liegt das Spiel wieder bei einer "äußerst positiven" durchschnittlichen Bewertung, die Zahl der Reviews geht auf ein normales Maß zurück.

Während das Team noch versucht, die Wogen im Discord zu glätten, ist das öffentliche Steam-Profil längst zum Schauplatz eines Kulturkampfes geworden. Nach einer öffentlichen Entschuldigung von Berserk Games sind es eben diese transfeindlichen und reaktionären Gruppen, die den Tabletop Simulator plötzlich negativ bewerten und nach dem Löschen der menschenverachtenden Beiträge von Zensur reden.

Die negativen und positiven "Review Bombs" hat Valve mittlerweile ausgeblendet.

Böswillige User und überforderte Entwickler

Das alles spielt sich innerhalb weniger Tage ab. Die Entwickler*innen selbst scheinen von den Geschehnissen vor allem überfordert zu sein. Am 8. Januar erscheint eine erste Reaktion als Text-Screenshot auf Twitter, am 9. Januar ein klärender Folgebeitrag. Der Moderator im Mittelpunkt der Ereignisse äußert sich ebenfalls auf Discord. Eine ausführliche Antwort folgt erst eine Woche später als weiteres "Update" zu den vorherigen Kommentaren. Diese Reaktion kommt viel zu spät und viel zu unkoordiniert, um die Eskalation auf Steam noch eindämmen zu können. Spätestens mit der Flut transfeindlicher Posts auf Steam ist es kein Community-interner Vorfall mehr.

Die Überforderung mit der Situation ist hausgemacht. Obwohl tausende Spieler*innen gleichzeitig im Spiel und hunderte auf Discord aktiv sind, ruht die Moderation auf den Schultern ehrenamtlich tätiger Community-Mitglieder. Die Erklärarbeit auf Discord wird teilweise von freiberuflich am Spiel arbeitenden Entwickler*innen übernommen. Vieles wirkt chaotisch, besonders für Außenstehende, die Allreds Vorwürfe nicht auf Twitter verfolgt haben.

"In der vergangenen Woche haben wir viel Zeit damit verbracht, unsere unternehmensweiten Praktiken zu bewerten", heißt es letztendlich in der Antwort auf Reddit. "Wir verstehen, dass unser Schweigen als Untätigkeit empfunden worden sein könnte, aber wir sind uns des Ernstes dieser Situation bewusst und glauben, dass sie mit sorgfältiger und bewusster Überlegung diskutiert und angegangen werden musste." Es wird versichert, dass der Schutz der LGBTQ-Community dem Team wichtig sei und der Ban von Xoe Allred ein Missverständnis war. E-Mail-Nachfragen von Superlevel bleiben bisher unbeantwortet.

Publikumszuwachs in der Pandemie

Trotz der Entschuldigung kündigen einige Designer*innen und Gruppen an, den Tabletop Simulator nicht weiter zu verwenden. Bryn Smith betreibt das kleine Label Doomsday Robots und organisiert Gamedesign-Meetups. Sie ist selbst eine trans Frau und war von den Ereignissen daher auch persönlich betroffen, wie sie auf dem Discord-Server von Berserk Games schreibt. Sie sichert Allred ihre Solidarität zu, aber fürchtet auch die Folgen eines Boykotts. "Die Designgruppen sind derzeit ohne TTS nicht funktionsfähig, und ein Wechsel der Plattform würde für viele der Mitglieder erhebliche Schwierigkeiten mit sich bringen", so Smith. Der Tabletop Simulator ist mittlerweile zum Standard für virtuelle Brettspiele geworden, Alternativen wie Screentop, Tabletop Playground oder Tabletopia sind noch in einem frühen Entwicklungsstadium oder nicht so etabliert. "In der Tat könnte es das Ende einiger Gruppen und der Fähigkeit anderer sein, sich mit dem Hobby zu beschäftigen."

Xoe Allred selbst ist vom Tabletop Simulator auf die Alternative Screentop.gg umgestiegen.

Die Corona-Pandemie und die notwendigen Kontaktbeschränkungen und Ausgangssperren haben den Tabletop Simulator aus der Nische geholt. Im April 2020 wuchs die Zahl der gleichzeitigen Spieler*innen auf Steam von 5.000 sprunghaft auf 36.000 an. Mittlerweile liegt der Durchschnitt nach dem Hype im ersten Lockdown um die 10.000 – eine Verdopplung zu den Zahlen vor der Pandemie.

Der Tabletop Simulator hätte sich laut Bryn Smith aber nicht nur als Notlösung in der Pandemie herausgestellt, sondern als eine echte Alternative für die Art, wie Brettspiele entwickelt und getestet werden. "Diejenigen aus unterrepräsentierten Gemeinschaften erhielten Zugang zu Verlagen und Spieltests, die sonst unerreichbar gewesen wären", schreibt Smith weiter. "Für viele war es das erste Mal, dass sie mit Leuten aus der ganzen Welt spielen konnten, ohne zu internationalen Kongressen reisen zu müssen." Dass ausgerechnet diese marginalisierten Gruppen, die vom Tabletop Simulator profitiert haben, nun so vor den Kopf gestoßen wurden, ist besonders bitter.

Berserk verspricht Besserung, aber der Schaden ist angerichtet

Um auf Worte auch Taten folgen zu lassen, hat Berserk Games angekündigt, 10.000 US-Dollar an die National Center for Transgender Equality zu spenden. Außerdem will man im offiziellen Blog die Arbeit von Tabletop-Simulator-Nutzer*innen aus der LGBTQ+ Community präsentieren. "Wir versprechen, dass diese Maßnahmen nur der erste Schritt in unserem erneuten Engagement für die Schaffung einer Kultur sind, die Inklusion im Brettspiel und in der Welt schätzt", so das Unternehmen. Mindestens ein Moderator hat außerdem seine Rolle verloren.

Damit dieses Versprechen auch langfristig zu einer Besserung führt, sind für Xoe Allred "Akzeptanz, Verantwortlichkeit und Repräsentation entscheidend." Sie denkt, dass queere Moderator*innen die Situation früher erkannt und besser gehandhabt hätten. Berserks Team müsse "vielfältig sein, sie sollten sich sicher fühlen, sich ernsthaft äußern zu können, und sie sollten in diese wichtigen Entscheidungen einbezogen werden, vor allem, wenn diese Entscheidungen Auswirkungen auf diese Communitys haben."

Auch wenn Berserk sein Versprechen einlösen kann, die Community rund um den Tabletop Simulator wirklich zu einem sicheren Ort für queere Spieler*innen zu machen, hätte es nie so weit kommen müssen. Andere Unternehmen sollten aus all dem nicht nur lernen, wie eine gute Entschuldigung formuliert wird, sondern vor allem, wie man den Anlass für eine vermeidet. Community-Management lässt sich nicht automatisieren und auslagern. Wer eine Gemeinschaft aufbaut, hat auch eine Verpflichtung, diese zu pflegen – sonst droht der Ausschluss marginalisierter Mitglieder und öffnet ein Einfallstor für hassgetriebene Opportunisten. Haben diese eine Community erst einmal vereinnahmt, ist es für Entschuldigungen zu spät.