Nach 200 Spielen gehen Sokpop in Rente

Seit 2018 entwickeln die Niederländer jeden Monat mindestens ein Spiel. Jetzt will das Kollektiv seine Plattform auch anderen anbieten – und trotzdem kein Publisher werden.

Nach 200 Spielen gehen Sokpop in Rente
Quelle: Sokpop

Spieleentwicklung ist ein langwieriger Prozess. AAA-Projekte entstehen in jahrelanger Kleinstarbeit teilweise unter katastrophalen Arbeitsbedingungen, und selbst die Entstehung von Indie-Titeln kann sich so lange hinziehen, dass die Entwickler*innen zeitweise den Glauben an eine Veröffentlichung verlieren. Bei Aran Koning, Tijmen Tio, Tom van den Boogart und Ruben Naus alias Sokpop läuft es ein wenig anders.

Dabei haben die Mitglieder des vierköpfigen Kollektivs aus Utrecht, die sich 2015 während des Game Jams Ludum Dare virtuell kennenlernen, zuerst gar nicht den Plan, gemeinsame Sache zu machen. "Wir wollten alle Spiele als Soloentwickler herausbringen", erklärt Koning im Gespräch mit Superlevel. "Wir wollten kein Studio gründen. Also dachten wir uns: Vielleicht gibt es einen Weg, so zusammenzuarbeiten, dass wir Ressourcen teilen und uns gegenseitig aushelfen und dabei trotzdem nur eine lose Gruppierung bleiben."

jut ist das erste Spiel von Sokpop, das 2018 über Patreon erscheint. (Quelle: Sokpop)

Aus diesem Konzept entwickelt sich nach den ersten persönlichen Kennenlerntreffen die Idee zu Sokpop, das am Anfang mehr Schein als Sein ist. "Um ehrlich zu sein, hatten wir am Anfang viele Ideen, aber Sokpop war im Endeffekt nur ein Twitter-Account, der unsere persönlichen Tweets retweetet hat", sagt Koning und lacht. "Als wir dann unser Patreon starteten, nahm die Idee von einem Kollektiv echte Form an."

Von der diffusen Idee zum Hype-Projekt

Den losen Zusammenschluss gibt es laut Koning schon seit Ende 2015, im Dezember 2016 erscheint mit Bamboo EP die erste kleine Sammlung aus drei Mini-Spielen, an der alle beteiligt sind. Das funktioniert wie eine Musik-EP, die in kurzer Laufzeit trotzdem das Wichtigste rüberbringt, ohne jegliches Füllmaterial.

Vom heutigen Erfolg – Stand Mitte Februar finanzieren 2.600 Patrons die Gruppe mit knapp 8.300 US-Dollar pro Monat – ist damals noch nichts zu spüren. Auf itch.io hat Bamboo EP neun Bewertungen, auf Steam 58. "Das war unser erster Versuch zu schauen, was wir als Kollektiv tun können, das wir als Individuen nicht schaffen", so Koning. "Das war eine gute Erfahrung, aber es hat sich nicht gut verkauft. Deswegen haben wir keine weiteren EPs veröffentlicht."

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Am 17. Januar 2018, etwa ein Jahr später, erscheint mit jut das erste Spiel über Patreon, das im Verhältnis zur Bamboo EP unerwartet erfolgreich ist. "Ich glaube, am ersten Tag konnten wir schon die 100-Dollar-Grenze knacken und dachten nur: Let’s go!", erklärt Koning. Den nächsten Schub erhält das Projekt durch ein Video von Polygon-Journalist Brian David Gilbert im Mai 2018. Innerhalb eines Monats steigen die Einnahmen des Kollektivs auf rund 1.800 US-Dollar – immer noch viel zu wenig, damit vier Menschen davon leben können.

Damals nehmen die Entwickler noch Freelancing-Jobs an, um sich über Wasser zu halten. Ab dem Zeitpunkt, als Sokpop zwei Jahre später anfangen, ihre Spiele auch auf Steam für drei Euro pro Stück zu veröffentlichen, verdoppeln sich dadurch die Gesamteinnahmen über Patreon, Steam und itch.io laut Koning auf zwischen 10.000 und 12.000 US-Dollar. Abzüglich von Steuern immer noch kein Vermögen, aber bereits genug, um in einer Studentenstadt wie Utrecht in WG-Zimmern oder kleinen Wohnungen bequem über die Runden zu kommen.

Zwischen Crunch und Kollaboration

Der Elefant im Raum ist trotz des lockeren Image der Gruppe der Crunch, was in der Spieleindustrie im Allgemeinen unverhältnismäßige Mehrarbeit über längere Zeiträume bezeichnet. Zwar waren die Entwickler laut Koning enge Zeitfenster und Stressschübe durch ihre intensiven Game-Jam-Erfahrungen gewohnt. Doch trotz der vielen Arbeit reißen sie die selbstauferlegten Deadlines immer wieder.

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Laut Koning gehen die Sokpop-Mitglieder unterschiedlich mit der Belastung um. "Was mir geholfen hat, war das Mindset, dass nicht jedes Spiel gut sein muss, weil in zwei Wochen schon das nächste erscheint", sagt Koning. Iteration und Feinschliff fielen also in vielen Fällen weg. Dennoch konnte Sokpop Crunch nie ganz vermeiden. "Manche Projekte waren ziemlich crunchlastig, manche kaum. Ich war persönlich nie wirklich ausgelaugt, weil ich danach immer zwei Wochen Pause hatte."

Was die schnellen Entwicklungszeiten außerdem begünstigt habe: Der Kollektivgedanke. Jedes Spiel unter dem Sokpop-Label wird nur von einer einzigen Person entwickelt. Aber weil das Team im gegenseitigen Austausch schnell eine gemeinsame visuelle und Game-Design-Sprache findet, kann jeder der Vier einzelne Bausteine der anderen wiederverwenden. "Wir haben uns nie schlecht dabei gefühlt, uns gegenseitig Dinge zu klauen", so Koning. "Wir haben uns über das Ergebnis gefreut, nach dem Motto: Oh cool, du hast das von mir in dein Spiel gepackt."

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Sokpops Zukunft ist ein Spagat zwischen Publishing und Entwicklung

Trotzdem spüren die Mitglieder von Sokpop den Druck, den strikt getimte Veröffentlichungen mit sich bringen, immer stärker. Deswegen kündigt das Kollektiv Ende 2022 mittels eines Patreon-Posts an, sein Geschäftsmodell nach dem hundertsten Spiel anzupassen. Das sollte eigentlich schon im Dezember 2022 erscheinen, lässt aber bislang noch auf sich warten.

Dafür fand schon der erste sogenannte Sokpop Takeover statt. Am 14. Februar durften die Entwickler Kleingeld und Jasper Oprel ihr Fotospiel Berry People auf Patreon und bei Steam unter dem Namen von Sokpop veröffentlichen. "Das macht mir ehrlich gesagt etwas Sorgen. Ich will kein echter Publisher sein", sagt Koning, auch wenn das Kollektiv es auf dem Papier ist. "Manchmal fühlt sich das, was Publisher tun, etwas unfair an, obwohl ich denke, dass unser Deal für den Takeover fair ist. Und das sollte immer so sein. Sonst bist du nur ein Vermieter für jemandes Spiel, was furchtbar ist. Niemand mag Vermieter."

Trotzdem wollen Sokpop weiterhin als Entwicklerkollektiv auftreten. Nur eben nicht im monatlichen Rhythmus. Angepeilt sind derzeit vier eigene Spiele pro Jahr. Bis die nächsten 100 voll sind, wird es also etwa 25 Jahre dauern. "Ich denke, nach den nächsten 100 gehe ich in Rente", meint Aran Koning und grinst. "Dann bin ich 52 und ich kann hoffentlich aufhören, Spiele zu machen. Zumindest ist es so nachhaltiger, nicht mehr jeden Monat ein Spiel zu veröffentlichen und unser ganzes Leben als Zeitspanne zur Verfügung zu haben."

Fünf Jahre Indie-Erfolgsgeschichte, das Überstehen der Indiepocalypse und ein neues, nachhaltiges Modell haben Sokpop so gut es geht zukunftssicher gemacht. Einfach wird es dank Überangebot und Unwägbarkeiten in der schnelllebigen Spielebranche trotzdem nicht. Das weiß auch Koning. "Vielleicht wäre es gut gewesen, schon damals zu wissen, dass es hart wird und dass das auch Teil davon ist, ein cooles Spiel zu machen. Du hoffst immer, dass es leichter wird, und nach zehn Spielen denkst du, du hast den Code geknackt", sagt er. "Du denkst, du hast das Rezept gefunden, aber wir haben absolut keins."

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